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Ortstermin: Der PR-Russlandtag
Die Rollen sind klar verteilt. Der Ministerpräsident ist für alles außer Außenpolitik zuständig. Er wirbt für Mecklenburg-Vorpommern, um Investoren, begrüßt fast 500 Gäste, von denen man einigen ansieht, dass der Tag einer langen Russlandnacht folgt. Sellering ist der Gastgeber. Kein Wort von ihm zur Ukraine-Krise. Stattdessen: Ein Werbefilm („Kommen Sie in unser Land!“), die Zahlen zur Botschaft („Russland stand 2013 auf Platz 4 unserer wichtigsten Außenhandelspartner“), ein bisschen Beilaunehalten („Auch wenn man es heute kaum glauben mag: Mecklenburg-Vorpommern ist die sonnenreichste Region Deutschlands“). Und noch einmal der Hinweis: „Der Russlandtag ist ein regionales Wirtschaftstreffen. Wir werden keine außenpolitischen Konflikte lösen können.“
Außenpolitik. Die übernimmt der Altkanzler, der Hauptredner, der Aufsichtsratsvorsitzende von Nordstream und damit auch Sponsor dieser Veranstaltung. Sein Manuskript wurde vorher an die 80 akkreditierten Journalisten verteilt. Schröder hält sich fast Wort für Wort daran. Nur den Anfang nutzt er - um sich bei Sellering zu bedanken. „Die Menschen respektieren es, wenn man ein Rückgrat hat, statt nur ein Blatt im Wind des publizistischen Mainstreams zu sein“, lobt der ehemalige SPD-Chef seinen Parteifreund dafür, auch gegen Kritik am Russlandtag festgehalten zu haben. Beifall, Teil 1. Und Applaus-Garantie auch für die Rede. Der Begriff „Russland-Versteher“ sei zu einem Kampfbegriff geworden, sagt Schröder. Er stehe dazu, „dass ich Russland, seine Menschen und seine politische Führung verstehen will. Ich schäme mich dafür nicht, im Gegenteil: Ich bin stolz darauf.“
Wie zu besten Kanzlerzeiten hat er vor der Veranstaltung mit der Bild-Zeitung gesprochen, um sein Russlandbild zu erklären. In Warnemünde geht es ihm vor allem um Unterstützung für Sellering. Das Wirtschaftstreffen, mitten in der Krise? Eine gute Idee. Sein Wunsch: Frieden in der Ukraine und eine Freihandelszone von Lissabon bis Wladiwostok. Und für den Zitateblock: Er hofft, dass Historiker aus ganz Europa eines Tages ein gemeinsames Geschichtsbuch für alle Schüler schreiben.
Dialog heiße nicht Kritiklosigkeit, sagt Schröder noch – doch seine Kritik bleibt aus. Stillschweigen über den Bruch des Völkerrechts, über russische Soldaten in der Ukraine. Der Name Putin fällt kein einziges Mal.
Um 12.30 Uhr auf einer improvisierten Abschluss-Konferenz im Eingangsbereich des Hotels wird Sellering den Altkanzler für seine Rede überschwänglich loben. Es ist das Gegenlob. Die kritischen Nachfragen an Schröder - abgeblockt. Nach drei Minuten ist alles vorbei. Die beiden gehen mit dem russischen Gouverneur essen und verabschieden sich vom Russlandtag.
Wolfgang Clement muss jetzt übernehmen. Der ehemalige Wirtschaftsminister schleicht den ganzen Morgen schon unbemerkt über die Gänge. Er ist im Vorstand des Ostinstituts in Wismar und soll am Nachmittag einen Workshop leiten. Genau wie Backhaus und andere Landesminister. Es geht um Themen wie Zölle und Steuern, vor allem aber sollen hier Kontakte geknüpft werden. So wie letzte Nacht im Kurhaus. „Das hat ein paar Körner gekostet“, sagt Claus Ruhe Madsen, der Präsident der Industrie- und Handelskammer Rostock.
Im Foyer vor dem Saal werben die Sponsoren. Nordstream, Gazprom Germania, aber auch die Seilerei Sembritzky aus Greifswald. Acht sind es insgesamt. Die Staatskanzlei und das Wirtschaftsministerium müssen leergefegt sein an diesem Tag. Überall Ansprechpartner. Übersetzer können jederzeit hinzugezogen werden. Und auf einem Tisch liegt die deutsche Ausgabe von „Russia Beyond The Headlines“, ein PR-Magazin der Rossijskaja Gaseta. Die gleichnamige Zeitung ist das Amtsblatt der russischen Regierung.
Auch darin kein Wort zum Ukraine-Konflikt. Auch darin wird er einfach ausgeklammert.
Meinungen
Der Russlandtag ist ein falsches Signal in jedwede Richtung. Russland ist und würde sicher auch zukünftig gerne ein Abnehmer unserer Produkte und Dienstleistungen bleiben. Was auch nicht verwundern kann, denn seit gut einhundert Jahren verharrt dieses Land infolge zweier (unverschuldeter) Kriege, der stalinistischen Diktatur und dem unverändert totalitären Staatswesen in einer zivilisatorischen Erstarrung. Das wirtschaftliche Potential der Russischen Föderation und ihrer Satelliten ist überschaubar: Gewinnung von Bodenschätzen, Produktion von Holz und Stahl, Erzeugung von Rüstungsgütern sowie Export dieser Waren – aber es gibt auch gut 170 Millionen Konsumenten. Diese werden bezüglich ihrer Schaffens- und Arbeitskraft durch die Nomenklatura der an den Schaltstellen sitzenden Funktionäre und Oligarchen informell gelenkt, nach Belieben desinformiert und in übelster Weise ausgebeutet. Zu den Handlangern der Letztgenannten zählt ein Großteil der Klientel, die Herr Sellering jetzt in unserem Land willkommen hieß – natürlich unter dem Beifall der ewig gestrigen, russophilen Irrgeister und mit dem Rückhalt einer nur noch auf Profit zielenden, moralentfremdeten Wirtschaft. Auch für die Nachbarn in Polen und im Baltikum setzt der „Russlandtag“ ein falsches Signal, nicht zuletzt durch die ebenso unpassende wie unsensible Auswahl der externen Grußwortsprecher. Bei etwas mehr Weitblick in jeder Hinsicht hätte man die Wirtschaftsgespräche auf der Zeitachse verschieben oder zumindest „in den Keller“ verlegen können. Mit garantiert nicht weniger russischen Händlern, mit sicher gleich guten oder gleich schlechten Ergebnissen, aber mit weitaus weniger negativen Außenwirkungen.