Roland Regge-Schulz

HELAU... LAU... AU

„Wenn der liebe Gott Karneval für alle gewollt hätte, dann hätte er sich Norddeutschland geklemmt“, sage ich und entferne eine unsachgemäß quer durchs Zimmer gepustete Luftschlange vom Frühstückstisch.

Da können die Kinder ruhig gucken. Es liegt nun mal nicht in der Natur des Mecklenburgers, sich eine alberne Kappe auf den Kopf zu setzen und auf Kommando fröhlich zu sein. Der durchschnittliche Mecklenburger erreicht nun mal den Höhepunkt des Jeckseins, wenn er beim Fernsehen durch Zufall auf die Übertragung einer Prunksitzung stößt und nicht innerhalb von 10 Sekunden umschaltet. Dieser hohe Durchschnittswert kommt nur zustande, weil es, man mag es kaum glauben, hier auch Jecken gibt. Ich schätze mal ungefähr so viele wie überzeugte FDP-Wähler.
Und nun stellen wir uns mal den Marienplatz mitten in der Landeshauptstadt vor. Es ist Donnerstag, es ist Weiberfastnacht, also ein ganz normaler Tag in Mecklenburg. Der Marienplatz ist gut gefüllt mit traditionell mürrischen Gesichtern. Plötzlich bricht eine Straßenbahn-Sonderfahrt über die Menschen herein. Aus dem Nichts quellen fröhlich gelaunte Jecken auf den Platz und niemand hat vorher gefragt: Wollen wir sie herauslassen? Das ist der Moment, in dem sich selbst alteingesessene Schweriner überlegen, vielleicht doch lieber nach Hagenow zu ziehen. Da mag es ja auch Jecken geben, aber wenigstens keine Straßenbahn.
„Ihr braucht gar nicht so zu gucken“, grunze ich die Prinzessinnen an, „so schlimm ist es in Hagenow gar nicht.“
„Was hast du eigentlich gegen Karneval?“, fragen sie zurück.
Da fällt mir spontan die letzte Karnevalsveranstaltung ein, bei der ich zu Gast sein müssen durfte. Ein Dorfkarneval, berühmt bis an die Gemeindegrenze, berüchtigt dahinter. Ich habe lange nach einem Wort gesucht, dass das Treiben dort beschreibt, ohne dabei verletzend zu sein. Ich habe es gefunden: Seltsam.
Dabei war alles so, wie es sein sollte, beim Karneval. Auf der Bühne wurden alte Witze erzählt, die Tanzgruppe nahm das Wort Tanz nicht so ernst und die Stimmung siedete dem Höhepunkt entgegen. Prost... ähhh... Helau!
Nur ich köchelte nicht, ich schmorte. Seltsam.
Dabei bin ich doch quasi vom Fach.
„Ich war früher selbst aktiver Karnevalist“, sage ich, „ja, so richtig Mitglied im Karnevalsverein, so mit Prunksitzung und so. Ich wäre sogar im Elferrat gewesen, wenn die den nicht auf elf Leute begrenzt hätten.“
Genauso hätten die Prinzessinnen auch geguckt, wenn ich erzählt hätte, ich bin nächste Woche auf dem Cover der „Bravo“.
Dabei stimmts. Ich war dabei, damals, als der große Zaun noch stand und kurz danach. Ich war bei der KGW, der Karnevalsgesellschaft Winden, als das KGW noch Klement-Gottwald-Werk hieß und später dann Krane-Getriebe-Winden. Unser Fasching war legendär. Die Karten wurden auf dem Schwarzmarkt zu Horrorpreisen gehandelt. Das Männerballett kam ohne eine einzige Frau aus. Es war großartig, mit Prunksitzung und lustigen Spielchen und reimenden Büttenrednern und einer richtigen Tanzgruppe mit Frauen und so.
Einmal habe ich einen Freund aus Berlin mitgenommen. Der saß den ganzen Abend ruhig in seiner Ecke. Der fand das alles, fand uns, sehr seltsam.
Das KGW gibt es immer noch. Die KGW auch.
„Du spinnst“, sagt die Prinzessin.
„Total“, die andere.
Ich rolle die Luftschlange wieder zusammen und puste sie quer über den Frühstückstisch.
„Helau“, rufe ich.
„Lau“, sagt die eine Prinzessin.
„Au“, murmelt die andere.
Karneval in Mecklenburg.