Ich geb mir die Kugel
„Eis“, sagen die Prinzessinnen.
Und so stehen wir geduldig in der Schlange. Es ist ja für die Kinder. Ich stehe mit, obwohl ich gar kein Eis will. Eis gibt es für mich erst wieder, wenn der Winterspeck verschwunden ist. Darüber kann schon mal ein Sommer ins Land gehen. Sahne, Zucker und Geschmack, mehr ist ja so ein Eis gar nicht. Gesund wohnt woanders.
Früher, als ich das Wort ungesund noch gar nicht kannte, habe ich an meinem Lieblingseiswagen immer zwei Kugeln gekauft. Eine Vanille und eine Schoko. Nur manchmal Frucht. Mein Lieblingseiswagen stand am Busbahnhof in Hagenow, nur gut hundert Meter entfernt, von der Wohnung meiner Großeltern. Mit ein paar Groschen in der Hand war ich auf dem Hinweg mindestens doppelt so schnell wie auf dem Rückweg. Auf dem Rückweg hatte ich ja auch zu tun. Einerseits musste das Eis schneller gegessen werden, als die kleine halbrunde Waffelschale aufweichte, andererseits hatte ich weniger vom Eis, je schneller ich es verschlang. Eine unlösbare Aufgabe. Am Ende hatte ich immer irgendwie das Gefühl, verloren zu haben. Manchmal aber hat der dicke Eisverkäufer auch zwei Waffeln herausgerückt. Das war dann der Idealfall.
Heute rücken wir in der Schlange näher ans Eis. Die Kinder wühlen sich schon mal mit den Augen durch die bunte Vielfalt. Ich klimpere das Kleingeld durch. Eine Kugel kostet einen Euro. Eis ist ganz schön teuer geworden. Für einen Euro, also rund zwei Mark, hätte ich mir damals in Hagenow zweimal anständige Bauchschmerzen kaufen können.
Ein Euro für eine Kugel ist andererseits ganz schön günstig. Die Berliner Eisdiele „Hokey-Pokey“, so war zu lesen, hat gerade die Preise für eine Kugel Eis auf 1, 60 Euro angehoben. Damit wollten sie Kunden abschrecken. Damit sich die Nachbarn nicht mehr so aufregen. Die beschweren sich ständig über zu viel Trubel. Hat aber nicht geklappt.
Vielleicht sollten sie ihr Eis nur noch an Nackte verkaufen. Würde wahrscheinlich auch nichts nützen, aber die Anwohner hätten wenigstens was zu gucken.
„Ich nehme „Joghurt-Kirsch“, sagt die eine Prinzessin, die andere nimmt irgendwas mit Pistazie.
Die denken sich aber auch immer beklopptere Eissorten aus um uns Schlecker zu verwirren. Gerade hat die Union der italienischen Speiseeishersteller in Deutschland „Birne-Parmesan“ zum Eis des Jahres gekürt.
Hallo? Gehts noch? Birne-Parmesan? Und was kommt als nächstes? Kartoffelchip-Melone? Zehnagel-Mango?
Birne-Parmesan, das kann doch kein Mensch freiwillig essen. Solche Eissorten denken die sich nur aus, um auf sich aufmerksam zu machen. Wenn Schoko-Vanille das Eis des Jahres wäre, wie langweilig. Das wäre doch keine Zeile wert. Aber Birne-Parmesan, da wetzt die Presse Mikro und Stift. Da werden Sondersendungen ausgestrahlt und Kolumnen vollgeschrieben. Nur gut, dass ich auf so etwas nicht hereinfalle.
Die Prinzessinnen haben ihr Eis. Die Verkäuferin guckt jetzt mich erwartungsvoll an. Ich will ja eigentlich gar kein Eis. Aber jetzt habe ich so lange angestanden. Als moderner junger Mensch muss ich jetzt irgendwas mit Gurke oder Mozzarella bestellen oder wenigstens mit Chili, Ingwer oder Lakritze.
„Vanille-Schoko“, sage ich.
Die Eiskönigin mustert mich kurz und guckt dann die Kinder an. Ich kann in ihrem Blick lesen. Da steht: Kinder, ihr helft ihm doch nachher über die Straße?