
Pfleger bei Helios sind hundertfach überlastet
Die Türen, die Diana Markiwitz einrannte, standen schon weit offen. Vor ein paar Tagen hat die Gewerkschaftssekretärin von Verdi in der Schweriner Klinik Station um Station abgeklappert. Im Schlepptau: ein anderthalb Mann hohes Plakat. „Gefährdungsanzeige“ steht blattbreit drauf.
Darunter Sätze, die drastischer nicht hätten sein können: „An vielen Tagen im Jahr in der Früh-, Spät- und Nachtschicht treten Situationen ein, in denen wir Beschäftigte aus allen Arbeitsbereichen keine sichere und ausreichende Versorgung der Patienten mehr gewährleisten können.“ Hauptgrund: Personalmangel. Weiter im Text: „Wir können unter diesen Umständen die Verantwortung für möglicherweise auftretende Fehler und Mängel in der Patientenversorgung nicht länger tragen.“
Als Diana Markiwitz die Klinik verlässt, ist auf der tapetenbreiten Papierbahn kaum noch Platz für weitere Unterschriften.
Rund 380 Gefährdungsanzeigen
Das Plakat steht stellvertretend für hunderte A4-Zettel, auf denen zumeist Schwestern und Pfleger unzumutbare Arbeitsbedingungen beim Arbeitgeber angezeigt haben. So, wie es das Arbeitsschutzgesetz und das Bürgerliche Gesetzbuch für prekäre Situationen verlangen. Prekär ist eine Situation dann, wenn das Arbeitspensum die Gesundheit der Mitarbeiter oder der Patienten gefährdet.
Rund 380 Gefährdungsanzeigen liegen allein aus diesem Jahr vor.
„Die Arbeitsbelastung der Schwestern und Pfleger hat kontinuierlich zugenommen“, so Diana Markiwitz. Die wirtschaftliche Rechnung ist einfach: Weniger Personal für mehr Patienten. Bezogen auf die vergangenen fünf Jahre gibt es heute rund 35 Mitarbeiter weniger in der Pflege, teilt uns der Betriebsrat mit.
Ergebnis: Den Mitarbeitern sitze permanent die Zeit im Nacken. Pausenzeiten könnten nicht eingehalten werden. „Dienstpläne verändern sich ständig. Oft werden Beschäftigte aus ihren freien Tagen geholt", kritisiert Verdi. Fallen Servicemitarbeiter der Tochterfirmen aus, müssen die Pflegekräfte ran. Die Zahl der Überstunden - im roten Bereich. „Die Pflegenden erleben einen immer größer werdenden Konflikt zwischen den eigenen Normvorstellungen einer guten Pflege und dem Machbaren in der Praxis“, sagt Elke Nitz, stellvertretende Betriebsratsvorsitzende.
Und das Wohl der Patienten?
„Das Glück ist bisher auf Seiten von Helios gewesen. Wenn der Arbeitgeber nicht endlich reagiert, ist es nur eine Frage der Zeit, bis eine ernstzunehmende Situation eintritt“, sagt Diana Markiwitz.
Gefährdungsanzeigen, umgangssprachlich auch Überlastungsanzeigen genannt, schützen die Mitarbeiter davor, im Ernstfall für Fehler haften zu müssen. Und sollen zweitens den Arbeitgeber zum Handeln bewegen. Soweit die Theorie. In der Praxis sprächen die vielen Anzeigen für sich, so Verdi.
Helios-Sprecher Christian Becker: "Wir nehmen die Anzeigen ernst.“ Jede werde geprüft. Dass ihnen in jedem Fall eine erhebliche Gefahr für die Patienten zugrunde liegt, weist er zurück. „Oftmals werden auf diesem Wege schlichtweg Personalausfälle unabhängig von einer tatsächlichen Gefährdung mitgeteilt.“ Sofern erforderlich, werde gehandelt: Personal umgesetzt oder auf Leihkräfte zurückgegriffen. Reaktionen, die aus Betriebsratssicht "noch nicht ausreichen" - und Diana Markiwitz vermutlich nicht umsonst so viele Unterschriften auf ihrem anderthalb Mann hohen Plakat beschert haben.
Ein bisschen Statistik
Anzahl der Gefährdungsanzeigen
2012: ca. 350
2013: ca. 490
bislang in 2014: ca. 380
Offene Stellen
Im Pflegedienst sind derzeit neun Stellen ausgeschrieben.
Anzahl der Pflegekräfte:
Stand Juni: 889
Zum 1. September wurden 23 Krankenpfleger nach der Ausbildung übernommen.
Zum 1. September wurden ca. 50 Pflege-Azubis eingestellt.
Von Juli bis Oktober werden zusätzlich 22 Pflegekräfte eingestellt.
Anzahl der Patienten:
Im Durchschnitt 55.000 pro Jahr.
Hintergrund: Gesetzliche Vorgaben, wie viele Pflegekräfte auf einer Station arbeiten müssen, gibt es nicht mehr. Die Personalplanung legt jede Klinik selbst fest.
(Statistik-Quelle: Helios-Pressestelle)