„Im Arztkittel haben Sie mir besser gefallen“
Weiße Hemden – bevor Sie OB wurden, haben Sie davon genau zwei Stück besessen. Sagt Ihre Frau in einer Dokumentation über Sie und den Wahlkampf. Sind inzwischen welche hinzugekommen?
Rico Badenschier: Ich hatte ja zunächst nur bis zum Wahltag kalkuliert. Jetzt sind es aber acht. Das dritte habe ich mir gleich am Tag nach der Wahl gekauft. Da hatte ich einen Interviewtermin und das Hemd drei Minuten vorher aus der Packung gerissen.
Badenschier trifft Verwaltung: Wie ist Ihr erster Eindruck?
Es ist noch alles neu und ich muss viel lernen. In den vergangenen 100 Tagen habe ich einmal die Runde durch alle Fachdienste im Stadthaus gemacht. Die Außenstellen hole ich in den kommenden Wochen nach. Inhaltlich ging es um viele Themen, die vorher schon aufgerufen waren. Hier muss ich noch lernen, wie Verwaltung geht: Abläufe, Hierarchien, Dienstwege, Einflussmöglichkeiten. Da macht man natürlich nicht alle Sachen auf Anhieb ganz richtig und bleiben Fettnäpfchen nicht aus. Inzwischen hat sich jedoch schon ein gewisses Gespür für die Abläufe entwickelt – auch wenn ich da noch nicht am Ende bin.
Womit haben Sie als neuer Verwaltungschef am wenigsten gerechnet?
Das ist schwer zu sagen. Man rechnet ja mit so Vielem. Besonders geärgert hat mich aber, wie mit der Neubesetzung der Jugendamtsleitung umgegangen wurde. Zum einen die Vorfestlegung: Die Kritiker hatten ihre ablehnende Meinung zu unserem Vorschlag bereits öffentlich geäußert, noch bevor sie den Bewerber überhaupt persönlich kennengelernt haben. Zum anderen die mangelnde Bereitschaft, sich mit dem ganzen Bewerberspektrum auseinanderzusetzen. Wir hatten den Stadtfraktionen angeboten, sich die Unterlagen aller Bewerber anzuschauen. Keiner der Kritiker hat davon Gebrauch gemacht. Jetzt haben wir ein halbes Jahr bei der Neustrukturierung des Jugendamtes verloren – und dieselben Kritiker beschweren sich, dass wir die Kosten nicht in den Griff bekommen. Bei so einem Thema hätte ich eine sachlichere Diskussion erwartet.
Die Stelle ist jetzt neu ausgeschrieben. Wie ist der aktuelle Stand?
Die Ausschreibung läuft noch.
In welches Ressort fuchst es sich besonders schwer hinein?
Das sind zwei Bereiche: Das Soziale – weil es so komplex ist. Und die Wirtschaft – weil ich damit bislang relativ wenig Berührungspunkte hatte, es aber so wichtig ist für unsere Stadt. Da brauche ich noch mehr Einblick, um auch meinem eigenen Anspruch gerecht zu werden.
Und bei welchen Themen werden Sie Ihrem eigenen Anspruch schon gerecht?
Das sind die Themen, die gerade aktuell sind. Konsolidierungsvereinbarung, Finanzausgleichsgesetz, Schuleinzugsbereiche, Schülerbeförderung oder öffentliche Videoüberwachung, zum Beispiel. Da fühle ich mich so im Bilde, dass ich dazu auch reden kann.
Normalerweise haben Neulinge im Amt erst einmal 100 Tage Schonfrist. Keiner meckert, keiner kritisiert. Das ist ein ungeschriebenes Gesetz – das bei Ihnen schon nach 40 Tagen gebrochen wurde: Sie hatten der Euphorie über das positive Votum der Bundesgartenschau-Gesellschaft mahnende Worte zur Finanzierung gegenübergestellt und sogar der Stadtvertretung nahegelegt, ihre Buga-Haltung zu überdenken. Dafür gab‘s von CDU, Linken und Unabhängigen Bürgern mächtig Prügel. Würden Sie heute noch einmal so argumentieren?
Ich kann die Reaktion natürlich verstehen. Aber ich würde heute nicht anders argumentieren. Euphorie ist eine gefährliche Emotion, wenn man am Ende Risiken im zweistelligen Millionenbereich eingeht. Wenn wir das Geld bei unserer Konsolidierungsvereinbarung nicht vor die Klammer ziehen dürfen, dann ist es doch ganz klar, dass sich die Stadtvertretung damit befassen muss, wo wir im freiwilligen Bereich diese Millionenbeträge sparen wollen. Die Buga ist ein tolles Projekt, wenn es funktioniert. Gemeinsam mit dem Wirtschaftsdezernenten werbe ich in den nächsten Wochen bei der Landesregierung weiter um Unterstützung für die Finanzierung. Gleichzeitig werden wir einen Bürgerentscheid für den 24. September vorbereiten.
Als Oberbürgermeister müssen Sie eine Vielzahl an Entscheidungen treffen und nach außen vertreten. Wer berät Sie dabei?
Einen allgemeinen Berater habe ich nicht. Ich verlasse mich in erster Linie auf meine beiden Dezernenten und ihre insgesamt 50 Jahre Verwaltungserfahrung. Ansonsten suche ich für jedes Thema einzeln nach möglichen Ansprechpartnern, z.B. auch in der kommunalen Familie bei meinen Bürgermeister-Kollegen.
Gleich zu Beginn Ihrer Amtszeit holten Sie sich das Thema Zebrastreifen am Dreescher Markt auf den Tisch. Wie weit ist das Vorhaben inzwischen vorangekommen?
Jetzt müssen wir erst mal zählen, wie viele Leute an der Stelle über die Straße laufen. Das machen wir, wenn das Wetter besser ist, damit die Zahlen auch realistisch sind. Ich kann ihnen natürlich nicht vorgreifen. Ich gehe aber davon aus, dass da eine stärkere Regelung kommen wird, als die bestehende Aufpflasterung.
Wie begegnen Ihnen die Schweriner seit der Wahl?
Überwiegend positiv. Nach meinen Buga-Äußerungen, zum Beispiel, haben mich mehrmals Leute auf der Straße angesprochen und gesagt „Was Sie gesagt haben, war genau richtig.“ Neulich stand aber auch eine Frau vor mir und sagte: „Ach, Sie sind Herr Badenschier?! Also, im Arztkittel haben Sie mir besser gefallen.“
In Ihrem ersten Interview mit unserem Magazin, kurz nach Ihrem Amtsantritt, haben Sie gesagt: Ein Ziel für die ersten 100 Tage sei, einen neuen Landeshauptstadtvertrag zu unterzeichnen. Ist die Tinte schon drunter?
Manchmal sind die Ziele doch zu hehr. Die Diskussion darüber wird jetzt durch die Diskussion über das Finanzausgleichsgesetz überlagert. Wir müssen jetzt erst einmal schauen, wie unsere Lasten als Landeshauptstadt und kleine kreisfreie Stadt darin abgebildet werden und ob wir dann überhaupt noch einen Landeshauptstadtvertrag brauchen. Dazu müssen wir den Entwurf zum Finanzausgleichsgesetz aber erst noch auswerten.
Wie sind Sie mit Ihrer Familie im neuen Amt angekommen?
Unter der Woche bin ich mehr unterwegs als vorher und zuverlässig nicht zum Abendbrot zu Hause. An den Wochenenden ist die Zeit nicht mehr, aber planbarer geworden. Meine Rufdienste als Arzt liefen regelmäßig so ab: Sonntagmittag, das Mittagessen steht auf den Tisch, das Telefon klingelt. Ab in die Klinik. Das passiert jetzt nicht mehr. Jetzt weiß ich genau, wann welche Termine anstehen. Meistens können wir dann zumindest gemeinsam essen. Und wir haben eine feste Familienzeit eingeführt: Mittwochnachmittags mache ich keine Termine.
Die US-Hochschule Harvard hat kürzlich ein kostenloses Trainingsprogramm für Bürgermeister gestartet. Sie hatten sich beworben. Haben Sie schon was gehört?
Nee, keine Nachricht gekriegt.